Scheinselbständigkeit bei Bildungsträgern

Scheinselbständigkeit ist eine Bedrohung für Solo-Selbständigen und anderem auch für freie Trainer und Dozenten. Die aktuelle Entscheidungsgrundlage der Deutschen Rentenversicherung sorgt für Rechtsunsicherheit und ist eine Gefahr für alle Betroffenen: Vermittlungsagenturen, Projektkunden und alle Selbständige die für einen oder mehrere Auftraggeber tätig sind. Es drohen hohe Nachzahlungen und strafrechtliche Verfolgung. Selbst erfahrene Rechtsanwälte werden vorab keine Rechtssicherheit herstellen können.

In der IT sind mehr als 20 Prozent der Mitarbeiter Selbständige. In der Branche herrscht noch immer viel Unwissenheit. Indem die Selbständigen über Agenturen eingekauft werden, glaubt der Kunde, sicher zu sein. Einige Kunden gehen weiter und sprechen die Externen mit Nummern an, bringen sie in separaten Containern unter, die diese selbst anmieten müssen, oder stellen sicher, dass keine direkte Kommunikation zwischen Externen und Internen stattfindet. Dann gibt es die Kunden, die von ihren Selbständigen regelmäßig eine Selbstauskunft anfordern. Springt hier die Ampel auf gelb, wird das Auftragsverhältnis mit diesem Externen sofort beendet. Auf Nummer sicher gehen die Kunden, die gar keine Externen mehr beauftragen. Auch die gibt es bereits. Viele Automobilhersteller und Zulieferer haben ihre Freiberufler schon längst auf die Straße gesetzt.

Die Opfer der Flexibilisierung

Was genau ist passiert, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) die Selbständigen und ihre Auftraggeber in eine solche Situation bringt? Zunächst einmal haben wir in unserem Land ein großes Problem: die gesetzliche Rentenversorgung. Das lassen die Argumente sehr deutlich erkennen, welche die DRV anführt. Im Grunde setzt die Rentenversicherung jetzt alle gesetzlichen Regelungen konsequent um die der Gesetzgeber zur Regulierung der Selbständigkeit erlassen hat.  In der Vergangenheit als es noch die Massenarbeitslosigkeit gab, war das großzügige Handhaben  der Regelungen ein Mittel um Arbeitsplätze zu schaffen. Im Moment will man die gute Konjunktur nützen um diese Arbeitskräfte als Arbeitnehmer zurück in die Betriebe zu bringen.

Mehrere Auftraggeber sind kein Schutz

Die DRV argumentiert:

 "(…) Sofern Herr F. für mehrere Auftraggeber tätig ist, ist dies für die Beurteilung des hier zu beurteilenden Vertragsverhältnisses nicht maßgeblich. Aus der Tätigkeit für mehrere Vertragspartner kann nicht zwangsläufig auf das Nichtvorhandensein einer abhängigen Beschäftigung geschlossen werden, da dieses auch bei abhängig Beschäftigten üblich ist. (…)"

Schließlich sind viele Angestellte gezwungen, mehreren Jobs nachzugehen. Damit ist die Tatsache, mehr Auftraggeber zu haben, kein Indiz mehr für eine Selbständigkeit. Es ist wichtig zu verstehen, dass die DRV das einzelne Auftragsverhältnis beurteilt und nicht mehr die Situation des Selbständigen.

Fördert die Beauftragungspraxis die Gefahr der Scheinselbstständigkeit?

Die Rentenversicherung schreibt:

 "(…)Beschäftigter ist, wer seine vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. (…) Herr F. ist ausschließlich in Ihrem Namen und auf Ihre Rechnung bei Ihren Kunden tätig. Herr F. arbeitet nicht auf eigenen Namen und eigene Rechnung, rechnet auch nicht selbst mit dem Kunden ab, sondern die Arbeiten (…) werden über den Auftraggeber, zur Abrechnung gebracht. (…)"

Mehr als 70 Prozent der Selbständigen werden in der IT-Branche über Agenturen eingekauft. Ist es Zufall, dass gleichzeitig der Druck auf die Selbständigen ITler erhöht wird? Bei näherem Hinsehen, kann man der Argumentation der Rentenversicherung in diesem Punkt folgen. Der Selbständige arbeitet nicht direkt für seinen Kunden, sondern ist für den Kunden seines Auftraggebers tätig. Wie ein Angestellter, der für die Kunden seines Arbeitgebers tätig ist. 

Der Arbeitgeber ist der Vertragspartner des Kunden. Und eine weitere Ähnlichkeit fällt ins Auge: Die Externen bewerben sich auf Projektausschreibungen. Die Ähnlichkeit zu dem klassischen Bewerbungsverfahren ist auffallend.

Einer der Gründe, warum Projektkunden IT-Selbständige über Agenturen einkaufen ist, sich vor den Folgen der Scheinselbständigkeit zu schützen. Wird Scheinselbständigkeit festgestellt, dann wird aus dem Selbständigen ein Arbeitnehmer. Der ehemalige Auftraggeber wird Arbeitgeber und hat die Beiträge zur Sozialversicherung nachzuzahlen. 

Hat die zu vermittelnde Agentur eine Arbeitnehmerüberlassung, dann wird der Selbständige Arbeitnehmer der Agentur. Allerdings wurde diese Praxis noch nicht höchstrichterlich bestätigt und könnte als Gestaltungsmissbrauch angesehen werden. Hier wiegen sich die Projektkunden in einer falschen Sicherheit. Es stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass die Selbständigen vermehrt über Agenturen eingekauft werden, vielleicht sogar ein Mitverursacher für die zunehmende Problematik ist.

Bezahlung nach Aufwand lässt unternehmerisches Risiko vermissen?

Wenn es darum geht, Argumente für Scheinselbständigkeit zu finden, ist die DRV ideenreich:

 "(…)Als Vergütung wird eine erfolgsunabhängige Pauschalvergütung in Höhe von XX €/h zuzüglich X Prozent Mehrwertsteuer gezahlt, die kein Gewinn- oder Verlustrisiko erkennen lässt. Ein höherer Gewinn kann nur durch Mehrarbeit verwirklicht werden. (…) Die Arbeiten werden von dem Auftraggeber anhand zu führender Stundennachweise kontrolliert beziehungsweise nachgewiesen. (…) Es ist somit kein für eine selbstständige Tätigkeit typisches Unternehmerrisiko zu erkennen. Unternehmerrisiko bedeutet auch, für den Einsatz der eigenen Arbeitskraft ein Entgelt nicht zu erhalten. (…)"

Den Vergleich, den die Rentenversicherung anstellt, ist nachvollziehbar. Ein Angestellter stellt seine Arbeitskraft für x Stunden zur Verfügung und bekommt dafür ein Gehalt. Ob und welche Ergebnisse er in dieser Zeit erreicht hat, ist für die Bezahlung ohne Belang.


Arbeiten vor Ort beim Kunden erhöht das Risiko

Eine interessante Argumentation lautet:

 "(…) Obwohl angeführt wird, dass Herr F. seine Arbeitszeit frei gestalten kann und ihm zum Arbeitsort keine Weisungen erteilt werden, ist Herr F. weder in der Disposition der Arbeitszeit noch des Arbeitsortes grundsätzlich frei, denn es besteht eine tatsächliche Verpflichtung, die übertragenen Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort auszuführen. Herr F. hat zwar die Möglichkeit, die Einzelaufträge abzulehnen, bei Annahme eines Auftrages wird ihm bezüglich Ort und Zeit jedoch Vorgaben gemacht. (…)"

Zum Verständnis: Es handelte sich um Trainings, die Herr F. durchführen sollte. Dazu ist es notwendig, dass Teilnehmer und Trainer zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort sind. Das ist auch der Fall, wenn man sich zu einer Besprechung trifft oder einen Termin vereinbart, um bestimmte Aufgaben gemeinsam mit anderen Kollegen zu erledigen. Für die Rentenversicherung ein weiteres Indiz für eine Scheinselbständigkeit.

Oft genug steht in den Projektausschreibungen: 100 Prozent vor Ort. Für Projektkunden ist das zunächst einmal bequem, insbesondere, weil sie die Reisekosten meist nicht bezahlen. Für die Rentenversicherung ist das ein Argument für Scheinselbständigkeit. Je mehr der Externe vor Ort beim Kunden ist, desto stärker ist er bei der Organisation des Kunden eingebunden und nimmt Weisungen entgegen. Dazu gehören auch wöchentliche Statusreports, das Pflegen von Urlaubslisten und Projektkalender und vieles mehr.

Die Auftragsdauer spielt keine Rolle

Eine Trainerin, hat für einen fünftägigen Auftrag den Bescheid als scheinselbständig erhalten. Seit fünf Jahren ist sie selbständig, hat mehrere Statusfeststellungsverfahren bereits erfolgreich durchgeführt. Ohne, dass sich bei ihr etwas geändert hat, ist sie nun im Visier der Rentenversicherung. 

Zusammenarbeit mit Selbständigen neu gestalten

Eine IT ohne Externe ist kaum vorstellbar. Sie bringen Knowhow und Flexibilität in die Unternehmen. Schon heute beklagen die Unternehmen einen Mangel an Fachkräften und müssen geplante Vorhaben verschieben oder mit gedrosseltem Tempo durchführen. Eine gesetzliche Festschreibung der heutigen Prüfpraxis der DRV wird dazu führen, dass der überwiegende Anteil der IT-Selbständigen in der heutigen Form nicht mehr zur Verfügung steht. Für einen Selbständigen wiederum ist es keine akzeptable Alternative, einen Auftrag über die Zeitarbeit zu realisieren.

Partner auf Augenhöhe

Die Kunden halten sich mit Protest gegen das geplante Gesetzvorhaben zurück. Sie wollen nicht in die Schmuddelecke mit Ausbeutern, Sozialversicherungsbetrügern und Abzockern gestellt werden. Schließlich soll das Gesetz vor Scheinselbständigkeit schützen. Wieder einmal kommt es zu einer Kollektivstrafe, weil einige Missbrauch betreiben.


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